Sechster Praxistag: Arbeit für Menschen mit Behinderung

Einen Tag lang habe ich am Dienstag in der Martin-Luther-King-Werkstatt in Kamen hospitiert. Im Mittelpunkt dabei: Arbeit für Menschen mit Behinderung.

Nachdem ich mich schon ausführlich mit der Frage der Inklusiven Bildung in den vergangenen Praxistagen auseinander gesetzt habe, habe ich dieses Mal die Schnittstelle zum Arbeitsleben in den Blick genommen. Zuvor hatte ich im Sommer im Rahmen meiner Innovationstour schon einige Integrationsbetriebe im Kreis Unna besucht. Die Martin-Luther-King-Werkstatt ist mir als Kamener natürlich bekannt. Was sich dort aber genau abspielt, ist wohl den wenigsten Kamenern wirklich bewusst. Mittlerweile arbeiten im Verbund der Hellweg-Werkstätten, zu dem die Martin-Luther-King-Werkstatt neben drei weiteren Standorten in Bergkamen gehört, etwa 780 Menschen. In diesem Jahr feierte die Werkstatt ihren 40. Geburtstag.

Im Rahmen meines Praxistags habe ich in einem Rundgang ausführlich alle Arbeitseinheiten kennengelernt. Dazu gehören insbesondere die Arbeitsbereiche Kleinmontage und Verpackung, Metall- und Kunststoffbearbeitung, Elektromontage und Konfektion sowie die Näherei. Das sind die Bereiche, in denen Menschen mit Behinderung auf ihren Arbeitsplätzen als Beschäftigte eingesetzt sind. Darüber hinaus gibt es noch den Bereich der Berufsbildung, den jede/r Teilnehmer/in zu Beginn der Tätigkeit in der Werkstatt durchläuft, wo sie auf die spätere Tätigkeit vorbereitet werden und ihre Fähigkeiten und Interessen austesten können. Im Förder- und Betreuungsbereich gibt es eine Tagesstruktur mit Teilhabe am Arbeitsleben auch für die Menschen mit schweren und schwersten Mehrfachbehinderungen. Vervollständigt wird das Angebot in der gesamten Werkstatt durch arbeitsbegleitende Angebote wie Krankengymnastik, Sprachtherapie, Sport, Entspannungsphasen oder Urlaubsfahrten.

Im Rahmen des Praxistags habe ich aber nicht nur die Einrichtung besichtigt, sondern auch einige Arbeitseinheiten ganz praktisch kennengelernt und mitgearbeitet. So habe ich unter Anleitung der Werkstattbeschäftigten an der Montage von Seitenteilen für Pflegebetten und an der Vorbereitung von Fensterbauteilen für die Lackierung mitgewirkt. Nicht alles ist wirklich so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint, aber die Beschäftigten haben mir kleine Fehler mit ihrer Erfahrung nachgesehen und geholfen.

Es ist schwierig, nach einem so intensiven Tag mit so vielen Eindrücken zusammenzufassen, was man daraus für die weitere politische Diskussion mitnimmt. So haben wir dann auch vereinbart, mit Leitung der Werkstatt sowie Mitarbeitern und Beschäftigten dauerhaft im Gespräch zu bleiben. Aber vier Schlussfolgerungen bleiben vor allem haften:

Arbeit gibt Struktur, Teilhabe, Sinn
Die Arbeit in der Werkstatt ist für die Beschäftigten, also die Menschen mit Behinderung, die dort arbeiten, keine bloße Beschäftigung – es ist die Teilhabe am Arbeitsleben. Und dieses Arbeitsleben ist für die Menschen, die ich dort getroffen habe, von größter persönlicher Bedeutung. Die Identifikation mit der Arbeit und mit dem Produkt ist sehr hoch. Mir ist überdeutlich geworden; zur Arbeit gehen, etwas schaffen (und zwar so viel jede/r kann und nicht mehr), Kollegen treffen, Mittagspause, zu Hause davon erzählen, wie der Arbeitstag war und was man erlebt hat – ich glaube, das gibt Selbstbewusstsein und das stiftet Sinn. Die persönliche und sinnstiftende Bedeutung von Arbeit, und zwar Erwerbsarbeit, ist für mich eine Erkenntnis, die weit über die Inklusionsdebatte hinausreicht.

Behinderung bedeutet Individualität
In der Werkstatt wird dann, wenn ein neues Produkt in die Fertigung kommt, genau überlegt, wie dieses von den Beschäftigten mit ihren VOraussetzung und individuellen Fähigkeiten umgesetzt werden kann. Arbeitsplätze werden individuell eingerichtet und dann eingeübt. Es gibt kein Schema, mit dem sich Behinderung kategorisieren ließe. Das ist eine wesentliche Botschaft der UN-Konvention: Individualität und Verschiedenheit anerkennen ist die Voraussetzung für Inklusion. Und im Übrigen auch deren große Chance für die gesamte Gesellschaft!

Werkstätten produzieren für den Wohlstand unserer Gesellschaft
Es ist richtig, dass in den Werkstätten auch sog. einfache Tätigkeiten ausgeübt werden. Aber es ist auch richtig, dass hier Fertigung, Konfektionierung, Versand und Vorproduktion für Industriegüter erfolgt. Für die Identifikation der Beschäftigten mit dem Produkt ist die Hochwertigkeit und Verkaufsfähigkeit des Produktes von großer Bedeutung. Aber es ist auch so, dass Werkstätten damit auch dem Konjunkturzyklus unterliegen. Wenn sich die Auftragslage für die Unternehmen verschlechtert, verschlechtert sie sich auch für die Werkstätten und damit auch für die Gehaltsperspektiven der Beschäftigten. Werkstätten sind mittlerweile Teil der gewerblichen Wertschöpfungsketten.

Wertschätzung für die Arbeit der Werkstätten
Es ist nachvollziehbar, dass viele Menschen mit Behinderung eine Beschäftigungsperspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt wünschen. Die Bedingungen dafür müssen zweifellos politisch verbessert werden. Das Übergangsmanagement ist übrigens auch eine Aufgabe, die die Martin-Luhter-King-Werkstatt schon seit vielen Jahren erfüllt. So habe ich auch im Übrigen den Eindruck gewonnen, dass wir in der Euphorie der Inklusionsdebatte das etwas in den Hintergrund geraten lassen, was die Träger teilweise seit Jahrzehnten geleistet haben und leisten. Deshalb ist die Wertschätzung auch für die Mitarbeiter der Werkstätten wichtig. Ihr Know-How und ihre Erfahrung wird auch zukünftig gebraucht, egal wie die Inklusionsdebatte weiter geht. Ich hoffe, dass ich diese Wertschätzung auch bei meinem Besuch in der Martin-Luther-King-Werkstatt zum Ausdruck bringen konnte.

Der nächste Praxistag findet im November statt und hat ein ganz anderes Thema. Dann werde ich eine Nachtschicht lang die Polizei in Unna begleiten.