Rede: Forschung und Entwicklung von Technologien und Design für Alle

Am 7. Juni 2013 hat Oliver Kaczmarek eine Rede zu Tagesordnungspunkt 44 der 244. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages gehalten. Dabei ging es um den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion “Teilhabe ermöglichen – Forschung und Entwicklung von Technologien und Design für Alle intensivieren”:

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Barrieren prägen unseren Alltag. Für die meisten Menschen ist es kein Problem, diese zu umgehen. Für Menschen mit Behinderung, aber auch für alte oder psychisch kranke Menschen stellen Barrieren oft unüberwindbare Hindernisse dar. Sie schließen diese Menschen vom Alltag und damit von Teilhabe aus. Die einzige Chance für sie eigenständig teilhaben zu können, besteht oft darin, sie mit technischen Hilfsmitteln auszustatten, die ihre Einschränkung kompensieren oder Produkte, Bauten und Dienstleistungen so zu gestalten, dass sie barrierefrei nutzbar sind. Genau an diesen Punkten setzen Technologien und Design für alle an.

Behinderungskompensierende Technologien besitzen im Rahmen der Inklusionsdebatte einen wichtigen Stellenwert. Hinter diesem sperrigen Begriff verbergen sich alle Technologien, durch die individuelle Fähigkeiten unterstützt werden, damit für Menschen mit Behinderung möglichst geringe Barrieren für ihre Teilhabe entstehen.

Das Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags hat vor vier Jahren einen Bericht zu den Chancen des Einsatzes dieser Technologien vorgelegt. Dabei stand im Mittelpunkt die Frage, wie diese Technologien entwickelt werden können und warum die Forschung zu diesen Technologien in Deutschland geringer ausgeprägt ist als in anderen Ländern. Dabei sind sicher historische Entwicklungen in Deutschland zu berücksichtigen. Das darf aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass in anderen Ländern die Entwicklung von behinderungskompensierenden Technologien durch zahlreiche positive Rahmenbedingungen gefördert wird. Der TAB-Bericht ist seinerzeit zu dem Schluss gekommen, dass strukturierte Forschung und Forschungsförderung in Deutschland nicht in dem Ausmaß vorhanden ist wie in anderen Nationen.

Ein Erfahrungsaustausch, wie Technologien für Menschen mit Behinderung entwickelt und weiterentwickelt werden könnten, ist nicht gewährleistet. Dabei ist dieses Thema nicht nur im Rahmen der Inklusionsdebatte von herausragender Bedeutung. Infolge des demographischen Wandels haben immer mehr ältere Menschen in Deutschland einen immer größer werdenden Bedarf an Technologien und Dienstleistungen, die ihnen ermöglichen, ihren Alltag barrierefrei zu bewältigen.

Unser Antrag zielt darauf ab, den Bereich der behinderungskompensierenden Technologien mit dem Konzept des Designs für alle zu verbinden. Design für alle ist die Gestaltung von Produkten, Umfeldern, Programmen und Dienstleistungen in der Weise, dass sie von allen Menschen möglichst weitgehend ohne eine Anpassung oder ein spezielles Design genutzt werden können. Sie ermöglichen einen unkomplizierteren Einsatz von behinderungskompensierenden Technologien auf dieser Grundlage. Technologien und Design für alle sollen nach unserer Auffassung dabei Leitprinzipien einer Strategie für Forschung und Entwicklung entsprechender Produkte, Bauten und Dienstleistungen sein. Wir wollen, dass bei der Konstruktion schon mitgedacht wird, dass die Produkte den Prinzipien von Technologien und Design für alle entspricht, also barrierefrei nutzbar sind.

Drei Aspekte der Positionierung der SPD möchte ich dabei besonders beleuchten:

Erstens geht es in unserem Antrag um den Bereich der Forschungsförderung. Es ist unbestritten, dass es seit Jahren etliche im Haushalt finanzierte Förderungsvorhaben gibt. Noch nicht ausreichend gewährleistet ist, wie diese bestehenden Ansätze zusammengeführt und akzentuiert werden könnten, um ihnen einen höheren Stellenwert und damit auch eine größere Verbreitung zu geben. Aus diesem Grund fordern wir die Entwicklung einer nationalen Strategie für Technologien und Design für alle, an der alle relevanten Akteure aus Forschung und Entwicklung sowie der Behindertenverbände beteiligt werden. Diese Strategie könnte Teil eines neuen, klarer und zielorientierteren Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention werden. Die Forschungsförderung wollen wir durch eine öffentlich geförderte Agentur koordinieren. Das entspricht auch den Überlegungen vieler Forscherinnen und Forscher in diesem Bereich, die wir in den letzten Monaten dazu sprechen konnten.

Zweitens ist es natürlich notwendig, Vorgaben und Leitlinien für die Produktion und Konstruktion zu entwickeln, die sowohl von Forschungseinrichtungen wie auch der privaten Wirtschaft angewendet werden können. Hier geht es wiederum um einen breiten Erfahrungsaustausch. Auch von Seiten der Wirtschaft gibt es hieran ein großes Interesse, um eigenen und öffentliche Forschungsergebnisse zu bündeln und zu strukturieren.

Drittens sollten „Technologien und Design für Alle“ fester Bestandteil bei entsprechenden Ausbildungscurricula werden. Nur wenn Ingenieure, Techniker, Konstrukteure, Informatiker usw. Kenntnis davon haben, welchen Leitprinzipien Technologien und Design für alle folgt, können sie auch in der Entwicklung und Konstruktion anwenden. Deshalb ist die Aus- und Weiterbildung der entsprechenden Berufsgruppen eine zentrale Größe für behinderungskompensierende Technologien. Beispielsweise sind für die Barrierefreiheit am Arbeitsplatz die Informations- und Kommunikationstechnologien von zentraler Bedeutung. Zur Zeit behandeln in Deutschland angehende Informatikerinnen und Informatiker das Thema Barrierefreiheit jedoch in der Regel während ihres gesamten Studiums nicht und schon gar nicht verpflichtend. Ähnliche Beispiele lassen sich für viele andere Disziplinen finden.

Umfassende Barrierefreiheit und „Technologie und Design für Alle“ bedingen einander. Wir wollen mit unserem Antrag einen Anstoß liefern, diesem Zusammenhang Aufmerksamkeit verleiht und es ermöglichen, über Inklusion nicht immer wieder nur zu reden, sondern endlich konkret zu handeln. Von diesem Anspruch scheint nur leider die noch amtierende Bundesregierung immer noch weit entfernt zu sein.

Vielen Dank.

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Den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion finden Sie unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/130/1713085.pdf